Elektronische Patientenakte (ePA) von Geburt an – das Ende der Selbstbestimmung über die eigenen Gesundheitsdaten
Sehr geehrte Mitglieder des Sachverständigenrates Gesundheit,
wir wenden uns an Sie als Zusammenschluss mehrerer Bündnisse und Initiativen für Datenschutz
und Schweigepflicht sowie als niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten. Wir vertreten die
Interessen der Kollegen, die sich aus berufsethischen und Datenschutzgründen nicht an die Telematik-Infrastruktur (TI) anschließen lassen. Dies sind 10-20 % der niedergelassenen Ärzte, bei den Psychotherapeuten sind es nochmals deutlich mehr. Insgesamt sind über 20.000 Ärzte und Therapeuten nicht an die TI angeschlossen.
In Ihrem Gutachten „Digitalisierung für Gesundheit“ vom 24. März 2021 empfehlen Sie, dass jeder Bundesbürger von Geburt an zur Führung einer elektronischen Patientenakte (ePA) verpflichtet wird, und zwar als sogenannte Opt-out-Lösung. Das heißt, die Verpflichtung gilt, wenn ihr nicht ausdrücklich widersprochen wird. Mit dieser Art erschlichener Zustimmung können die Patientendaten ungehinderter der Forschung und der Gesundheitswirtschaft zur Verfügung gestellt werden.
Wir fragen uns, wie Sie zu dieser Empfehlung kommen, wo doch eine eigens von Ihnen konzipierte Umfrage zu dem Ergebnis kommt, dass die Mehrheit der Befragten sich für eine dauerhaft freiwillige Nutzung der ePA ausspricht und 65 % der Befragten Angst vor Datenmissbrauch haben (https://
www.svr-gesundheit.de/fileadmin/Gutachten/Gutachten_2021/Anhang_IV_-_Bericht_zur_Online-
Befragung_fuer_das_SVR-Gutachten.pdf).
Die Freiwilligkeit der ePA ist bereits im jetzigen Design zweifelhaft; die Kriterien der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) für den Umgang mit besonders sensiblen Daten werden hier nicht erfüllt. Die von Ihnen nun empfohlene Opt-out-Lösung stellt eine Verpflichtung durch die Hintertür dar. Ein weiterer Schritt, unsere ärztliche und psychotherapeutische Schweigepflicht zu unterlaufen.
Sämtliche Patientendaten der ePA werden dauerhaft und zentral zugänglich auf Servern privater
Firmen gespeichert. Zugleich nehmen Anzahl und Qualität von Hackerangriffen auf hoch gesicherte Rechenzentren stetig zu, wobei das Verwertungsinteresse an medizinischen Daten steigt. Beispiele dafür gibt es zur Genüge, bei uns in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarländern. Daten, die einmal ins Internet gelangen, können nicht wieder gelöscht werden.
Den Versicherten wird erzählt, sie erhielten mit der ePA endlich Verfügungsmacht über ihre Gesundheitsdaten, dabei ist das Gegenteil der Fall. Die Versicherten bekommen lediglich einen Zugangsschlüssel. Da bis heute keine Datenschutz-Folgenabschätzung vorliegt, haben sie keine Übersicht darüber, wer alles noch Zugang zu ihren Daten hat, wer auf welche Art und Weise für Datenschäden verantwortlich wäre und wer auf welche Art und Weise hier korrigierend eingreifen würde. Ist das System der zentralen digitalen Speicherung einmal implementiert, können Zugriffsrechte per Gesetz jederzeit erweitert werden. Nicht zuletzt sind Zugriffe vom Smartphone aus besonders sicherheitsanfällig und Menschen ohne moderne Endgeräte von der Nutzung ausgeschlossen. Nicht ohne Grund hat der Bundesdatenschutzbeauftragte, Prof. Ulrich Kelber, die ePA in der jetzigen Form in mehreren Punkten kritisiert und, mit Bezug auf die DSGVO, sogar eine Warnung an die Krankenkassen ausgesprochen: 29. Tätigkeitsbericht für den Datenschutz und die Informationsfreiheit 2020, S. 36 ff., https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Taetigkeitsberichte/TB_BfDI/29TB_20.html?nn=5217016.
Datenschutz ist kein lästiges Hindernis für technologischen Fortschritt, sondern eine vertrauensbildende Notwendigkeit und damit die Grundlage für Entwicklung. Heute können wir Ärzte und Psychotherapeuten integer versichern, dass Daten bei uns verwahrt bleiben, solange die Patienten uns nicht von unserer Schweigepflicht entbinden. Mit der ePA, noch dazu automatisch angelegt per Geburt oder Zuzug, entziehen Sie uns den Boden für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Patienten. Die therapeutische Beziehung ist, vielfach nachgewiesen, einer der größten Wirkfaktoren unserer Arbeit. Für den Nutzen digitaler Gesundheitsanwendungen, die Sie ebenfalls so sehr empfehlen und verbreitet wissen möchten, gibt es unserer Kenntnis nach noch keinen einzigen tragfähigen Nachweis.
Unsere Praxen sind längst digitalisiert; wir alle nutzen PCs und Laptops, digitale Akten und Abrechnungsprogramme. Wir befürworten eine Digitalisierung im Gesundheitswesen, die die Anforderungen an den Datenschutz erfüllt und einen wirklichen zusätzlichen Nutzen für Patienten, Ärzte, Kliniken und Apotheken bietet. Vorteile für die IT-Branche und die Gesundheitswirtschaft müssten dabei sekundär sein. Niemand von uns praktizierenden Ärzte und Psychotherapeuten wurde in die Entwicklungsprozesse einbezogen, genauso wenig wie Interessenvertretungen der Patienten. Auch das kritisieren wir als fundamentales Versäumnis.
Wir möchten zuallererst an einer offenen und sachlichen Diskussion beteiligt werden. Wir fordern
Sie auf, sich dieser zu stellen und dazu in einen Dialog mit uns zu treten.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. med. Karen v. Mücke, Fachärztin für Innere Medizin (V. i. S. d. P.),
für das Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS),
https://www.gesundheitsdaten-in-gefahr.de
Henning Heck, Psychologischer Psychotherapeut (V. i. S. d. P.),
für die Westfälische Initiative zum Schutz von Patientendaten (WISPA),
https://www.wispa-muenster.de
Dr. med. Silke Lüder, Fachärztin für Allgemeinmedizin,
für die Freie Ärzteschaft (FÄ),
https://www.freie-aerzteschaft.de
Dieter Adler, Psychologischer Psychotherapeut,
für das Deutsche Psychotherapeuten-Netzwerk (DPNW),
https://www.dpnw.de
Dr. med. Hildgund Berneburg, Fachärztin für Psychosomatische Medizin
und Psychotherapie sowie Anästhesie, für die Vereinigung
psychotherapeutisch und psychosomatisch tätiger Kassenärzte e.V.,
https://www.vpk.eu
Roman Bernreiter, Zahnarzt,
für die Freie Zahnärzteschaft e.V.,
http://www.freie-zahnaerzteschaft.de
Dr. rer. nat. Bernhard Scheffold,
für den Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V.,
https://patientenrechte-datenschutz.de
Reinhild Temming, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin,
für das Kompetenznetz der Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen
in Westfalen-Lippe e.V.
https://kompetenznetz-kjp.de
Walter Schmidt
für „die Datenschützer Rhein Main“ (ddrm),
https://ddrm.de
Dr. med. dent. Maria Kaschner, Zahnärztin,
für die Vereinigung unabhängiger Vertragszahnärzte,
http://www.vuv-nds.de
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