DGA appelliert: Aufklärung über Kryokonservierung muss alle Menschen erreichen
Der Schock einer potenziell tödlichen Krebsdiagnose, das möglicherweise junge Alter der Betroffenen, Scham sowie Unsicherheit über die Kostenübernahme: Es gibt viele Gründe, warum die Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen und von Eierstock- oder Hodengewebe bisher längst nicht alle Patient:innen erreicht. Die Deutsche Gesellschaft für Andrologie e.V. (DGA) setzt sich für mehr Aufklärung der Öffentlichkeit, aber auch von Ärztinnen und Ärzten, ein und verweist auf die Leitlinie zum Fertilitätserhalt bei onkologischen Erkrankungen, die Betroffenen und Behandlern konkrete Orientierungshilfe bietet.
Die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Androlog:innen, die im Rahmen der Reproduktionsmedizin die Fruchtbarkeitsstörungen aufseiten des Mannes erforschen und behandeln, will der Fertilitätsprotektion in ihrer ganzen Bandbreite mehr Aufmerksamkeit verschaffen. „Im Falle einer Krebserkrankung tritt der Gedanke an einen späteren Kinderwunsch oft in den Hintergrund. Besonders für betroffene Kinder und Jugendliche sowie junge Krebspatienten zwischen 18 und 39 Jahren, die heute zu 80 Prozent geheilt werden können, bedeutet das eine verpasste Chance auf ein normales Leben mit der Aussicht auf eine eigene Familie“, so DGA-Pressesprecher Dr. Christian Leiber-Caspers. „Bei Hodentumoren ist das Bewusstsein für den notwendigen Fertilitätserhalt eher vorhanden. Tatsächlich bergen Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung auch bei zahlreichen anderen Krebserkrankungen ein hohes Risiko für die Spermienqualität oder die Erektionsfähigkeit und können zeugungsunfähig machen“, erklärt Dr. Leiber-Caspers. Fertilitätserhaltende Maßnahmen sollten deshalb wann immer möglich vor dem Beginn der Krebstherapie ergriffen werden. Beim Mann geht es vorrangig um die Kryokonservierung, also das Einfrieren und Lagern, von Spermien, die aus dem Ejakulat oder mithilfe der sogenannten testikulären Spermienextraktion aus dem Hodengewebe – in den Fällen, in denen keine Spermien im Ejakulat vorhanden sind – gewonnen werden.
Neben Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter und Hodentumoren, die vor allem junge Männer betreffen, bedroht die Behandlung von Prostata-, Blasen- oder Peniskarzinom die Fruchtbarkeit der Patienten. Trotz des höheren Erkrankungsalters kann auch bei diesen Männern der Wunsch nach Fertilitätsprotektion bestehen. Ebenso kann die Behandlung von Anal- und Rektumkarzinomen (Darmkrebs), von Blutkrebs, Lymphdrüsenkrebs (Hodgkin- und Non- Hodgkin-Lymphomen) zu Unfruchtbarkeit führen. „Konkrete Handlungsempfehlungen für die Beratung und Anwendung von fertilitätserhaltenden Maßnahmen bei Präpubertären und Patienten:innen im reproduktiven Alter, die sich einer keimzellschädigenden Behandlung unterziehen müssen, bietet die Leitlinie zum Fertilitätserhalt bei onkologischen Erkrankungen“, sagt DGA-Präsidentin Prof. Dr. med. Sabine Kliesch. Sie ist Ko-Koordinatorin der interdisziplinären Leitlinie, die derzeit aktualisiert und in Kürze neu aufgelegt wird.
Wenig bekannt: Auch die Behandlung gutartiger Erkrankungen kann die Fruchtbarkeit bedrohen
„Auch die Behandlung gutartiger Erkrankungen, wie rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder auch eine Organtransplantation, kann aufgrund der angewandten und potenziell keimzellschädigenden Medikamente zu einer Fertilitätseinschränkung führen“, betont die Chefärztin für Klinische und Operative Andrologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster. Sie appelliert: „Frühzeitige Aufklärung über die Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion muss, angefangen bei Kindern und Jugendlichen, alle in der Gesellschaft erreichen und im Falle einer Erkrankung zum Standard bei der Therapieplanung und -beratung gehören“.
Krankenkassen müssen die Kosten für die Kryokonservierung und Lagerung von Spermien, Hodengewebe und Eizellen erst seit 2021 übernehmen. Die vom Patienten über Jahre selbst zu tragenden Kosten habe auch, laut Prof. Kliesch, den breiten Einsatz fruchtbarkeitserhaltender Maßnahmen bisher verhindert. Ab Juli 2023 soll zudem die Kostenübername für die Kryokonservierung von Eierstockgewebe für Frauen ab der ersten Regelblutung erfolgen. „Aber die Kinder und Jugendlichen, die die Pubertät noch nicht durchlaufen haben, sind von den Fortschritten in der Medizin auch 2023 noch ausgeschlossen. Wer heute nichts einfriert, wird es morgen nicht nutzen können, es sei denn, er trägt die Kosten und Folgekosten selbst. Dies ist gerade für Tumorpatienten im Kindesalter bitter, denn die Kryokonservierung von kindlichen Stammzellen im Hoden und unreifen Eizellen sind existierende experimentelle Verfahren, die langfristig in die Klinik überführt werden“, kritisiert die DGA-Präsidentin.
Medienvertreter:innen haben auf dem Kongress des Dachverbands Reproduktionsbiologie und -medizin e.V. (DVR) im September 2023 in Bonn Gelegenheit, sich rund um die Reproduktionsmedizin und die medizinischen Optionen der assistierten Reproduktion zu informieren. „Journalist:innen sind auf den wissenschaftlichen Veranstaltungen des Kongresses herzlich willkommen“, so der Pressesprecher der DGA, die ihre 35. Jahrestagung unter dem Dach des DVR-Kongresses abhält und für das Jahr 2023 ein Forschungsstipendium in Höhe von 10.000 EUR zum Thema „Auswirkungen der modernen Lebensweise und/oder Umweltfaktoren auf die männliche reproduktive Gesundheit“ ausgeschrieben hat. Bewerbungsschluss ist der 23. Juli 2023.
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Die DGA ist eine interdisziplinäre wissenschaftlich-medizinische Gesellschaft mit dem Ziel, die Andrologie sowohl als Forschungsgebiet als auch als klinisches Fach zu stärken, zu fördern und weiter zu entwickeln. Die DGA vertritt die Interessen aller mit andrologischen Fragestellungen befassten Fachgruppen. Andrologie umfasst die Physiologie und Pathologie der männlichen Fortpflanzungsfunktionen, sexualmedizinische und endokrinologische Aspekte auf Seiten des Mannes und die Problematik des alternden Mannes in Forschung und Klinik.
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