Noch immer fühlen sich Betroffene eines Chronischen Erschöpfungssyndroms (CFS) oder einer Fibromyalgie nicht wirklich in ihren vielschichtigen Beschwerden ernstgenommen. Ob beim Arzt oder gegenüber Versicherungen, Ämtern und Behörden: Die beiden Krankheitsbilder fristen noch immer ein stiefmütterliches Dasein in der Versorgungslandschaft. Nicht zuletzt aufgrund ihrer fehlenden Greifbarkeit als manifestes Störungsmuster des Körpers werden sie noch immer in den Bereich der Psychosomatik abgeschoben, obwohl ihre neuroimmunologische beziehungsweise rheumatisch-schmerzmedizinische Bedeutung heutzutage unbestritten ist. Besonders schwierig zeigt sich das Durchsetzen von sozialen Leistungen, wenn ein Mensch an einer Myalgischen Enzephalomyelitis, wie das CFS auch genannt wird, oder an einem Fibromyalgie-Syndrom leidet. Bereits die Diagnostik und Behandlung ist begrenzt, wenngleich heute durchaus möglich. Vor dem Versorgungsamt, dem „Jobcenter“, gegenüber der Rentenversicherung oder der Pflegekasse fällt es Betroffenen nicht leicht, ihre Ansprüche durchzusetzen – trotz einer mittlerweile guten Grundlage an rechtlichen und gesetzgeberischen Entscheidungen, die den Weg weisen. Hierauf macht der Leiter der bundesweit tätigen Selbsthilfeinitiative zu CFS und Fibromyalgie, Dennis Riehle (Konstanz), aufmerksam. Er ist selbst von beiden Krankheiten heimgesucht und hat als gelernter Psychologischer und Sozialberater bereits knapp 4000 Betroffene unterstützt: „Zweifelsohne wird eine sachgerechte Beurteilung der Störungsbilder durch ihre individuelle Ausprägung beim Einzelnen erschwert. Man tut sich bei Amtsärzten und Sozialmedizinern nicht leicht mit der adäquaten Bewertung eines CFS oder der Fibromyalgie, weil sie einerseits zu den Ausschlussdiagnosen gehören und andererseits in ihrer Intensität erheblich schwanken können. Da bleibt dann oft nur, sich an anderen Krankheitsbildern zu orientieren, welche ähnliche Funktionseinschränkungen mit sich bringen und einfacher zu objektivieren sind“, sagt der 38-Jährige vom Bodensee.
Riehle verweist auf wegweisende Urteile zu den beiden Störungen, die einen Anhalt geben, wie sie sozialrechtlich gesehen werden. Beispielsweise hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit dem Urteil vom 28.04.2022, Az.: L 10 SB 50/19, festgehalten: „Unabhängig davon, ob die Erkrankung […] an CFS […] dem psychiatrischen Fachgebiet oder […] dem immunologischen Fachgebiet zuzuordnen ist, stellt sich schwerbehindertenrechtlich allein die Frage, inwieweit die ‚Behinderung‘ und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen […] die Teilhabe beeinträchtigen“. Dasselbe Gerichte hatte schon am 26.03.2014, Az.: L 10 SB 161/12, auch BSG, Beschluss vom 05.08.2014, Az.: B 9 SB 36/14 B, entschieden: „Nach Teil B 18.4 der Anlage [der Versorgungsmedizin-Verordnung, Anm. d. A.] sind die Fibromyalgie und ähnliche Somatisierungs-Syndrome (z.B. CFS/MCS) jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen […]“. Was also die Schwerbehinderteneigenschaft angeht, konnten klare Pflöcke eingeschlagen werden, wie ein CFS und die Fibromyalgie angemessen beurteilt werden. Beim Blick auf eine mögliche Erwerbsminderungsrente kann man sicherlich Einiges aus dem Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 11.07.2018, Az.: M 5 K 17.625, entnehmen und schlussfolgern: Von einer zumindest teilweisen Erwerbsminderung kann bei einer manifesten und erheblichen CFS-Erkrankung mit Ausbildung des klassischen Symptombildes gerade bei fehlender Möglichkeit zur Anpassung von Arbeitszeiten oder Arbeitsbedingungen (z.B. Telearbeitsplatz) ausgegangen werden. Zumindest dürfte dies aufgrund der Rechtsprechung im Beamtenrecht äquivalent auch für regelhafte Fälle eines typischen CFS- oder Fibromyalgie Verlaufs im Erwerbsminderungsrecht anzunehmen sein. Und bezüglich einer Pflegebedürftigkeit verweise Sozialberater Dennis Riehle nochmals auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 19.08.2020, Az.: L 4 KR 159/20, woraus entnommen werden kann, dass bei einem leichten bis mittelgradigen CFS ist ein Pflegegrad 1 bis 2 regelhaft sein dürfte. Höhere Pflegegrade sind insbesondere von der Einstufung in die „Bell“-Skala und den sich dafür zugrunde liegenden Einschränkungen in der alltäglichen Ausübung der individuellen Selbstständigkeit des Patienten abhängig, erläutert Riehle abschließend, der Betroffenen und Angehörigen beratend zur Seite steht.
Die Selbsthilfeinitiative bietet bundesweit kostenlose Psychologische, Sozial- und Ernährungsberatung sowie Gesundheitsförderung unter der Webadresse www.selbsthilfe-riehle.de. Datenschutz und Verschwiegenheit werden gewährleistet.